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#WeRemember

Ich möchte heute hier die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft erzählen, die Freundschaft zwischen Otto und Cees. Der eine ist mein Großvater, der andere ist durch die Freundschaft zu meinem „Onkel“ geworden.

Mein Großvater war grad mal 18 Jahre alt, als er eingezogen wurde und als Soldat in den Krieg musste. Zu einer der ersten Stationen zählte Holland. Mein Opa war wohl eher der Typ Rebell und Draufgänger in seiner Jugend, mit Autoritäten hat er sich immer schwer getan. Das hat er dann auch im Krieg zu spüren bekommen und seine Art hat ihm auch eine Strafversetzung eingebracht, die ihn letztlich nach Dresden und Polen führte, ich erinnere mich noch gut an seine Erzählung vom heißen Stahlhelm bei der Bombardierung von Dresden.

Aber wieder zurück in die Niederlande. Mein Großvater schob dort als Soldat seinen Dienst, eines Abends war er unterwegs um die Ausgangssperren zu kontrollieren und ist dabei auf eine junge Dame getroffen, die ihm offenbar sofort gefiel. Anstatt ihr Stress zu machen, hat er sie nach Hause begleitet, die beiden haben sich trotz widriger Umstände angefreundet und so kam es, dass er sie immer öfter besuchte. Tinnie, so hieß die junge Frau, hat ihn letztlich auch zur Familie mitgenommen und er lernte ihre Eltern kennen und war gern gesehener Gast. Im Lauf der Zeit hat mein Großvater gemerkt, dass die Familie im holländischen Widerstand aktiv war, dass Waffen im Haus versteckt waren und so weiter. Opa hat das alles für sich behalten und letztlich mit diesem Wissen und seinem Schweigen sein Leben riskiert. Der Krieg nahm seinen Lauf, die Kompanie meines Großvaters wurde verlegt und Tinnie und er mussten Abschied nehmen, man hat Adressen getauscht und einander versprochen, im Kontakt zu bleiben.

Jahre vergingen, mein Großvater hat den Krieg überlebt und war wieder zu Hause bei seiner Familie. 1953 stand plötzlich ein junger Mann am Gartentor und hat gefragt ob Otto hier wohnt. Der Mann war aus den Niederlanden und die Überraschung war groß, als sich herausstellte, dass er der Bruder von Tinnie war, die mein Großvater im Krieg kennen lernte. Tinnies Familie, im Speziellen die Mutter, wollte einfach unbedingt wissen, was aus dem jungen Soldaten, den sie so ins Herz geschlossen hatten, geworden ist, da der Briefkontakt auch abriss, weil Briefe mit der Feldpost zum Teil nicht zugestellt wurden. Deshalb haben sie den Bruder von Tinnie beauftragt, er soll den Otto suchen, Heimatadresse hatten sie ja. Mein Großvater überrascht, überwältigt. Er konnte Cees, Tinnies Bruder in Holland nämlich nicht kennen lernen, da Cees mit 16 Jahren als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet wurde und sein Weg von Amersfoort über Buchenau nach Auschwitz führte. Von dort ging es später auf einem der Todesmärsche nach Mauthausen, wo er letztlich im Nebenlager Gusen landete und mit ganz viel Glück und unglaublichem Willen überlebte und befreit wurde. Er selbst hat immer gesagt, die Tatsache, dass er eine abgeschlossene Berufsausbildung als Schlosser hatte, habe ihm das Leben gerettet, er wurde in Mauthausen/Gusen gebraucht, um für Messerschmitt am Bau des Düsenjägers ME 262 mitzuarbeiten.

Nun standen sich da also zwei Männer am Gartentor gegenüber, die einander fremd und doch so vertraut waren, da sie jeweils viel über den anderen aus Erzählungen kannten. Cees und Tinnies Eltern wollten unbedingt wieder Kontakt zu meinem Großvater, weil die ganze Familie ihm Hochachtung und Respekt für sein Schweigen zollte. Die beiden Männer kamen ins Gespräch, Cees blieb ein paar Tage und in der Zeit wuchs eine Freundschaft, die ihresgleichen suchen sollte. Aus den beiden Männern wurden fast Brüder und sie blieben in Kontakt. Tinnie und ihre Mutter schrieben Briefe und mein Großvater wurde wieder Teil der Familie in Holland. Das Leben ging seine Wege, beide Männer und auch Tinnie heirateten, gründeten ihre eigenen Familien und alle drei ließen diese Familien zum Teil der eigenen Familie werden. Die Erwachsenen wurden zu „Onkeln und Tanten“ für die Kinder, die Kinder wurden zu Freunden, jeder war für den anderen da und auch die Entfernung konnte daran nichts ändern. Mein Großvater kehrte zurück nach Holland und hat sich dort von Anfang an wie zu Hause gefühlt und sein Strahlen, wenn er von diesen Urlauben erzählte, bleibt unvergessen.

Ich hab Cees und seine Frau Truus natürlich auch als „Onkel und Tante“ kennengelernt und mich immer unendlich gefreut, wenn sie im Sommer mit ihrem schicken Jaguar (Cees wurde ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann) angedüst kamen und allerhand Geschenke im Gepäck hatten. Ich mochte die beiden unglaublich gerne. Truus war eine große, stattliche, elegante Frau mit viel Humor und Charme, ihr Lachen klingt heute noch in meinen Ohren. Vor Cees hatte ich immer viel Respekt, da er oft in Diskussionen auch sehr temperamentvoll werden konnte und wenn es um die Kriegsjahre ging, oder um politische Themen, da konnte er schon mal die Beherrschung verlieren. Aber auch er war uns allen gegenüber sehr herzlich zugetan und die Tage wenn sie bei meinen Großeltern waren, waren immer besonders. Die Freundschaft der Eltern wurde weitergegeben und hat sich von Generation zu Generation fortgesetzt bis heute, sie sind Teil unserer Geschichte und wir ein Teil ihrer. Das ist ein unglaublich schönes Geschenk.

Die Geschichte der beiden hab ich erfahren, als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war. Es war ein Sommertag, Cees und Truus waren bei meinen Großeltern zu Besuch, die beiden Männer haben gemeinsam im Garten gearbeitet und Cees und ich standen nebeneinander am Waschbecken, er wusch sich die Hände und ich sah auf seinem Unterarm eine Nummer eintätowiert. Ich hab ihn gefragt, was das ist und er meinte zuerst, das erklärt er mir, wenn ich älter bin.

Ich war aber neugierig und hab ihn so lange genervt, bis er sich mit mir hingesetzt hat und mich gefragt hat, ob ich in der Schule schon mal etwas von Auschwitz gehört habe. Die ganze Tragweite der Geschichte habe ich natürlich erst viel später begriffen, viel aus den Gesprächen mit seinen Söhnen und dann selber, als ich nach seinem Tod nochmal bei Truus einen Sommer in Holland verbracht habe und sie mir viel erzählt hat, was wir bis dahin alle nicht wussten. Von den ewigen, nimmer enden wollenden Alpträumen, von den seelischen Wunden, von der Härte, die er sich gegenüber anderen zugelegt hatte und vieles mehr. Durch ihn hab ich auch erfahren, wie sehr diese Zeit und die grausamen Schicksale auch die nachfolgenden Generationen prägt. Cees war kein verständnisvoller, liebevoller Vater, sondern er hat von seinen Söhnen viel gefordert. Er selbst war besessen davon, nach all dem Erlebten, ein erfolgreiches Leben zu führen, er hat gearbeitet bis zum umfallen bzw. bis zum Herzinfarkt und hat das auch von allen um ihn herum verlangt. Er hat einige Jahre in Indonesien gelebt und gearbeitet, ist wieder zurück in die Niederlande hat dort Firmen gegründet und hart gearbeitet. Und er war sein Leben lang ein Getriebener. Getrieben davon, die Verräter von damals zu finden, was ihm nie gelang.

Mein Großvater hat nie viel über den Krieg geredet, aber auch ihm hat man sein Leben lang angemerkt, dass er Bilder – gerade aus Polen – nie vergessen konnte und dass das Gefühl von Schuld ihn auch immer begleitet hat. Er hat sich schuldig gefühlt am Tod von vielen Menschen und er hatte wohl auch konkrete Menschen vor Augen, über die er aber so gut wie nie sprach. Vielleicht war ihm deshalb auch diese Freundschaft zu Tinnie und Cees so wichtig, weil sie ihn daran erinnerte, dass er nicht nur Schuld auf sich geladen hat, sondern auch dort, wo er für sich einen Weg fand, Menschen unterstütze und ihnen half.

Wie auch immer, die Freundschaft und enge Beziehung dieser beiden Männer wird mir immer Vorbild sein und die Geschichte der beiden hat mich geprägt und mich letztlich dazu gebracht, mich im Bereich Holocaust Education zu engagieren. Ich verdank den beiden viel und einen Auftrag, den mir beide ins Herz gelegt haben, werde ich selber wohl bis an mein eigenes Lebensende mittragen und es auch von allen immer wieder einfordern: Zachor, Erinnere dich!

mein Großvater zu Besuch bei Cees und seiner Familie.

Von borsetta

Gedanken zum Leben....Gedanken mittten aus dem Leben..... Teilen mit jenen.... die sich die Zeit dafür nehmen.... im Jetzt leben.... genießen und zwischendurch immer wieder einen Espresso trinken....

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