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Es ist doch alles schon so lange her…..

Ich habe gestern hier die Geschichte von meinem Großvater und seinem engsten Freund Cees nieder geschrieben, als Teil meines Erinnerns und als meinen Beitrag zum Holocaust Remembrance Day 2022.

Erwartungsgemäß gab es unter den Reaktionen darauf auch welche, die in etwa lauten, es ist doch alles schon so lange her, wir leben in der Gegenwart, es geht um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit. Ich bin der Meinung, es kann nie genug Erinnern geben. Erinnerungskultur sollte ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft sein und wir sollten alles daran setzen, um das immer noch so präsente Opferparadigma endlich aufzulösen und sich zu unserer Geschichte zu bekennen. Erinnerungskultur ist notwendig, um das vererbte Schweigen zu durchbrechen. So viele von uns wissen kaum etwas über die Erlebnisse und die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern, weil man einfach nicht darüber sprach und es bis heute nicht tut. Dabei wäre es für unsere eigene Geschichte so wertvoll und notwendig. Die Generationen derer, die die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus selber erlebt haben, sterben aus, junge Menschen haben kaum mehr Großeltern, die vom Krieg erzählen können. Ja, oft war man genervt, wenn der Großvater dann doch vom Krieg erzählte, schon wieder die alten Geschichten, aber retrospektiv betrachtet, zeigt es halt auch, wie schwer die Bilder und Erinnerungen lasten, wenn man bis ins hohe Alter immer wieder davon erzählen will. Das Schweigen und nicht sprechen können zeigt das genauso.

Wir sollten uns sehr bewusst sein, dass der Friede in dem wir derzeit (noch) leben, sehr wohl auf den Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern basiert.

Natürlich ist Erinnerung ein breites Feld, es gibt viele Personengruppen die durch die Nationalsozialisten unsägliches Leid erfahren haben und die Erinnerung an die Shoa ist angesichts der Zahl von 6 Millionen ermordeter Juden und Jüdinnen auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Auch wenn ich die Zeit nicht erlebt habe, so bin ich doch die Enkelin eines Mannes, der im Krieg war und Schreckliches erlebt hat , die Enkelin einer Frau, die in dieser Zeit am Bauernhof die Vergewaltigungen durch russische Soldaten über sich ergehen lassen musste. Ich bin die Urenkelin eines Mannes, der der NSDAP zugetan war. Ich bin die quasi Nichte eines Mannes, der Auschwitz und Mauthausen überlebt hat. Das ist alles Teil meiner Geschichte.

Erinnerung ist kein Leben in der Vergangenheit, es ist ein Baustein der Gegenwart, um Zukunft zu gestalten. Dass die Bilder unserer Erinnerung nicht schwarz weiß Bilder sind und werden , das ist unsere Verantwortung. Erinnerung ist außerdem ein Akt der Würde. Menschen nicht zu vergessen, aus zu Nummern gewordenen wieder Menschen mit Gesichtern und Namen zu machen, ihnen allen Respekt und Achtung zu zollen, das hat jeder und jede Einzelne von ihnen verdient, egal ob nicht mehr unter uns oder ob als Überlebende Zeitzeugen einer furchtbaren Zeit, egal ob Jüdin , Roma oder politischer Häftling von irgendwo. Wir können uns nicht zu Allerheiligen an die Gräber stellen, um der Toten zu gedenken, wenn wir auf der anderen Seite Erinnerungskultur ablehnen, weil es zu sehr Vergangenheit ist.

Wir sollten miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn die Inhalte der Gespräche schwierig sind, weil Emotionen vielleicht schwer bewältigbar. Ein wunderbarer Film hat dieser Tage in unseren Kinos Premiere. Fabian Eders „Der schönste Tag“. Ein Film, der in unglaublich sensibler aber sehr klarer Art und Weise uns die Vergangenheit zugänglich macht. Gesprächssequenzen zwischen Großvater und Enkel, Erzählungen der Großmutter an ihrer Enkelin erlauben eine andere Sprache, weil die beiden Gesprächspartner in emotionaler Beziehung zueinander sind. Diese Sprache der liebevollen Zugewandtheit ermöglicht auch uns als Zuschauer die Auseinandersetzung mit Inhalten, denen wir sonst gerne ausweichen. Der Film ist ein großartiges Geschenk an die Erinnerungskultur und ein wichtiger Mosaikstein am Weg zu einem dauerhaften „Nie wieder“. Und wieder ende ich einen Beitrag mit dem Auftrag „Zachor, erinnere dich!“

Der schönste Tag, Verleih Stadtkino Wien, im Bild Fabian Eder mit Aba Lewit

Von borsetta

Gedanken zum Leben....Gedanken mittten aus dem Leben..... Teilen mit jenen.... die sich die Zeit dafür nehmen.... im Jetzt leben.... genießen und zwischendurch immer wieder einen Espresso trinken....

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