Kategorien
Gedanken

Prozess

Dir den Prozess machen

Dich anklagen, beurteilen, verurteilen.

All die Enttäuschung vorbringen,

Punkt für Punkt Anklage erheben

Die Seiten wechseln und dich nicht mehr verteidigen.

Zeugenaussagen einholen

Beweisstücke vorlegen

Dich ins Verhör nehmen

Deiner Verteidigung nicht mehr zuhören

Staatsanwältin sein, Richterin sein, alles in einem

Nur nicht mehr auf deiner Seite

Einen Prozess führen gegen dich.

Nach so langer Zeit.

Den Prozess beenden.

Kategorien
Geschichten

Robinia

In einem Land ganz weit weg lebte einst ein Medizinmann, der von den Menschen dort sehr geschätzt und geachtet wurde. Er hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen, er konnte super gut Rat geben und er spürte oft zwischen den Zeilen was los war, er war einfach ein Menschenfreund und das spürten auch die Bewohner dieses Landes. Der Medizinmann hatte auch eine große Familie, na eigentlich war es mehr als nur eine Familie, da der Medizinmann in seinem Leben öfter mal neu beginnen musste und wollte. Die Kinder waren alle schon außer Haus und hatten Familien. Der Medizinmann liebte es, wenn sie ihn besuchen kamen und auch die Enkel mit dabei waren.

Eine der Töchter war Robinia. Sie war in dem Land fast so bekannt wie ihr Vater, sie war nämlich eine sehr energische, kreative und begabte Person und war viel auf den Bühnen des Landes zu sehen., weil sie den Menschen gerne Geschichten erzählte. Manchmal sogar gemeinsam mit ihrer Schwester. Robinia erzählte aber nicht nur Geschichten, sondern sie engagierte sich mit unglaublicher Kraft für Menschen, die es nicht so leicht hatten. Menschen, die ungerecht behandelt wurden, Menschen, die aus fremden Ländern in das Land kamen, weil sie im eigenen Land nicht mehr sicher waren und so weiter und so fort. Oft fragten sich die Menschen woher Robinia ihre Energie nahm, aber wenn man sie dann wieder mal energisch aufstampfen sah und lachen musste, weil sie sich dabei eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht pustete, wunderte einen wieder gar nix. Robinia konnte manchmal richtig gehend stur sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Auftanken konnte Robinia immer wieder bei ihrem Vater. Dort fand sie ganz viel liebevolle Zuneigung, die ermutigte und die ihr Kraft gab. Robinia hatte auch einen Mann, eine Familie, gute Freunde und all das war ihr sehr wichtig zum Kraft holen, aber ihr Vater war eben besonders. Der Medizinmann war allerdings nicht mehr der jüngste und so geschah es eines Tages, dass er krank wurde. Robinia setzte alle Hebel in Bewegung, organisierte mit ihren Geschwistern und war ganz außer sich vor Sorge. Ihr Vater musste einfach wieder gesund werden, weil…ja weil…sie wollte gar nicht weiterdenken, was es hieße, wenn ihr Vater irgendwann nicht mehr da wäre. Allein bei dem Gedanken wurde ihr Angst und Bang. Energisch stampfte sie auf und pustete sich mal wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht, nein, ohne ihren Vater, das ging einfach nicht und sie wollte alles daran setzen, ihn für immer bei sich haben zu können.

Umso erstaunter war sie, als ihr Vater sie auf eine Insel schickte, die wirklich noch viel weiter weg war als das Land, von dem wir hier reden. Robinia hatte sich schon lange gewünscht, dort endlich hin zu können. Auf der Insel gab es Menschen, die ganz besondere Heilkünste hatten und das wollte Robinia kennenlernen, passt ja zu der Tochter eines Medizinmannes. Robinia sollte also ein paar Wochen auf diese Insel, aber sie dachte nur, doch nicht ausgerechnet jetzt, wo mein Vater noch krank ist.

Aber sowohl ihr Vater, als auch ihre große Schwester redeten ihr zu und so stieg sie in ein Flugzeug und landete auf der Insel. Die Insel war wunderschön,die Menschen faszinierten sie und sie war beeindruckt, mit wieviel Menschenfreundlichkeit und Achtung ihr die Menschen dort begegneten. Die Menschen zeigten ihr die Heilkünste der Insel und die Behandlungen taten auch ihr und ihrer Seele mehr als gut. Robinia war nämlich zugegebenermaßen sehr, sehr müde, weil die letzten zwei Jahre ganz viel von ihr gefordert hatten. Hätte Sie nach Außen wohl nie so gezeigt, aber ihr Vater spürte schon, dass es notwendig war, seine Tochter auf die Insel zu schicken.

Außerdem spürte der Medizinmann noch etwas. Er wusste, dass seine Zeit zu Ende ging und er bald gehen würde. Er wusste aber auch, dass gerade Robinia das furchtbar treffen würde und deshalb wollte er sie gut versorgt wissen, wenn es für ihn an der Zeit war. Natürlich dachte er auch an seine anderen Kinder, aber irgendwie war ihm Robinia in dem Moment besonders nahe.

So kam es also, dass Robinia ganz weit weg war, als der letzte Tag ihres Vaters anbrach. Der Medizinmann war nicht alleine, es war alles ein bisschen so, wie er es sich gewünscht hatte und er konnte mit ruhigem Herzen gehen, weil auch seine Enkelin da war und er wusste, dass das ein guter Zeitpunkt war und seine Enkelin auch Robinia helfen würde über den Verlust hinweg zu kommen.

Als Robinia auf der Insel erfuhr, dass ihr Vater, der große Medizinmann, sich auf seine letzte Reise machte, brach für sie eine Welt zusammen, vor allem, weil sie in dem Moment auch realisierte, dass sie nicht mehr rechtzeitig zu Hause ankommen würde, um sich zu verabschieden. Die Menschen auf der Insel betreuten sie liebevoll , aber Robinia konnte unter ihrem Tränenschleier die Schönheit der Insel nicht mehr sehen, ihre Gedanken waren nur bei Ihrem Vater, dennoch war sie dankbar, dass sie gut umsorgt wurde und nicht ganz allein war.

Als Robinia ein paar Tage später in das Land, das so ganz weit weg war, zurückkehrte, war nichts mehr so, wie es vor ihrer Abreise war. Sie vermisste ihren Vater unendlich und immer wieder flossen ihre Tränen, weil sie so traurig war. Viele Menschen waren da, um sie zu trösten, aber der eine, der liebevolle, der fehlte und er würde nie nie wieder zurückkehren. Wie soll man denn da weiterleben, fragte sie sich.

Robinia war lange Zeit sehr traurig, aber sie wusste auch, das Leben würde weitergehen. Und so kam es, dass Robinia wieder hinaus unter die Menschen ging, sie war wieder auf den Bühnen des Landes zu sehen und sie kämpfte weiter für die, die ihre Hilfe brauchten. Und mitten in diesem Tun kam ihr eine Erkenntnis, die sie zum Strahlen brachte. Sie spürte plötzlich wieviel von ihrem Vater in ihr war, wieviel Menschenfreundlichkeit sie von ihm gelernt hatte, aber auch, dass sie so manches Medizinmannwissen in sich hatte, wenn sie z.B Freundinnen beim Heilwerden helfen konnte. Sie spürte ihren Vater ganz nah, grad auch dann, wenn sie mit ihrer Lieblingskatze auf der Couch saß, nachdachte und dabei eine Tasse Tee genoss.

Robinia vermisste ihren Vater, ja, keine Frage, aber sie fand auch neue Kraft ihren Vater in ihrem Alltag zu erkennen und ihn als liebevollen Begleiter weiter ganz nah zu spüren. Die Menschen in dem Land freuten sich sehr, dass Robinia wieder zurück auf den Bühnen war und der alte Medizinmann, der aus einer anderen Welt immer einen liebevollen Blick auf seine Kinder hatte, lächelte zufrieden. „Na schau, du hast die Kraft in dir neu entdeckt“, dachte er sich und als der Sonnenstrahl, den er schickte, Robinia in der Nase kitzelte und sie nießen musste, lachte sie auch und schickte ein „Danke, lieber Vater“ in Richtung Sonne.

Kategorien
Geschichten

Noch ein wenig weiter nordwärts.

Ach wie schön das Leben doch sein kann, dachte sich Finbar als er am Strand saß. Er genoss diese Spaziergänge unendlich und an manchen Tagen konnte er gar nicht glauben, dass er nun wirklich hier zu hause war.

Das Bardezimmer hatte er hinter sich gelassen, stattdessen werkelt er jetzt in seinem Deichstall vor sich hin. Lindi, die treuste Seele und weltbeste Produktionsassistentin war echt zufrieden mit ihm. Lindgren von Bullerbü, so hieß Lindi nämlich mit vollem Namen, hatte ein ganz besonders Auge auf ihn. Das war vom ersten Tag ihres Kennenlernen weg schon so. Die beiden hatten sich gesehen und gefunden. Naja, gut, ein wenig nachgeholfen hatte Herr Bud damals schon. Vielleicht erinnert ihr euch ja noch an unseren Regenbogenhund. Also Herr Bud hatte damals dafür gesorgt, dass Lindi und Finbar sich trafen irgendwo zehn Meter hinterm Haus am See muss das gewesen sein, oder vielleicht war es auch in Panama, egal, spielt ja keine Rolle.

Finbar war ganz vernarrt in das damals noch kleine Fräulein von Bullerbü und so hörte man ihn oft fröhlich singend durch die Gegend ziehen, Finbar musste ja alles zu Musik machen….und so war es kein Wunder, dass irgendwann laut über den Hof schallte „Lindgren mag den Duft von Geranien, Hortensien, Lindgren ist mein Mädchen aus dem fernen Bernhardinien“. Lindi amüsierte sich königlich, vor allem,weil Finbar neben dem Singen immer lustige Sachen machte, er kugelte mit ihr am Boden herum und außerdem zupfte er auf so einem Ding rum, da kamen dann auch noch Töne raus. So gern wie die beiden sich hatten, war es klar, dass sie von nun an alles gemeinsam machten. „Kannste ja gleich auch meine Produktionsassistentin werden“, meinte Finbar und Lindl fand die Idee auch sofort gut, so wurden sie ein eingespieltes Team. Aber jetzt wollt ihr ja bestimmt noch wissen, wie Finbar in den Norden kam.

Eines Tages war Lindi mit Finbar unterwegs. Finbar war irgendwie anders. Sehr nachdenklich sagte er plötzlich, „Nicht mein Tag“. Lindgren sah ihn von der Seite an und meinte, „komm lass uns Tachles reden, was ist los?“ Da erzählte Finbar ihr von seiner Sehnsucht, von seinem Traum endlich nordwärts zu ziehen. Am liebsten auf eine kleine Insel, mitten im Meer. So kam es nach vielen Gesprächen eben, dass Finbar gemeinsam mit seiner schönen Schwedin das Bardezimmer ausräumte und mit all den Seinen nordwärts zog. Naja, nicht ganz mit all den Seinen, er konnte ja nicht alle Verwandten und Freunde mitnehmen, aber die Sehnsucht nach dem Meer war einfach größer als die Angst vor den Abschieden und außerdem sooooo weit aus der Welt würde er ja nicht sein.

Lindi freute sich auch sehr über die neue Umgebung. Hobo, der Produktionsassistenten Stellvertreter war auch gar nicht mal so ungeschickt und lernte schnell und darüber war Lindgren froh, denn im Gegensatz zu den anderen wusste sie bereits, dass sie nicht all zu lange auf der Insel bleiben würde und der Moment kommen würde, wo sie die Karawane verlassen würde. Es lag ihr sehr im Magen, da sie ja wusste, dass Finbar sehr an ihr hing und gerade auch mit seiner schönen Schwedin war es so wunderbar. Aber es nutzte nix, sie hatte mit Herrn Bud vereinbart, dass noch ein weiterer Frühling auf der Insel okay ging, aber dass es dann Zeit wurde. Eines Abends ging sie mit Finbar noch am Strand entlang und beide setzten sich nieder, weil sie sich einfach an der Natur nicht sattsehen konnten. „Wie das Mondlicht sich im Meer bricht, es kann so stille hier sein“, meinte Finbar. Lindgren antwortete nicht. Nachdenklich saß sie da und schaute auf das sich im Wasser spiegelnde Mondlicht. Finbar stupste sie an. „Hey, du sagst ja gar nichts“, meinte er. Die Produktionsassistentin rutschte ganz nah an Finbar ran und begann nach einem tiefen Seufzer zu erzählen. Davon, dass sie weg musste, nicht sofort, aber doch in absehbarer Zeit. Davon, dass sie gerne bliebe, aber dass das bei ihr halt auch ein wenig so wie bei Mary Poppins sei, sie würde auch noch woanders gebraucht.

Finbar wurde ganz schummerig vor Augen, verdammt, so ein Gespräch hatte er doch damals auch mit Bud geführt, das kann doch nicht sein, dass das schon wieder los ging. Aber gut, zumindest hatte Lindgren gesagt, sie müsse nicht sofort los. Das tröstete ihn in dem Moment ein wenig. Zögernd fragte er nach einer Weile Lindl, wo sie denn vor hätte hinzugehen. Noch ein Stück weiter nordwärts, meinte sie nur. „Hm, das ist schön“, antwortete Finbar, „Nordwärts ist gut, ich kenn keinen schöneren Ort“. „Dann lass uns jetzt nach Hause gehen“, meinte Lindgren, doch Finbar antwortete ihr, er würde gern hier sitzen bleiben bis zum Morgen und ein wenig voraus- und nachdenken. Die kluge kleine Produktionsassistentin spürte, dass Finbar einfach ein wenig Zeit brauchte und so trottete sie alleine zurück zum Deichstall.

Viel ging Finbar noch durch den Kopf in dieser Nacht, er überlegte hin, er überlegte her und ein paar Tränen vergoss er sicherlich auch, denn so eine wunderbar treue Seele wie Lindgren von Bullerbü kann man nicht so leicht ziehen lassen, auch wenn man weiß, dass der Abschied naht. Lindgren hatte in der Zwischenzeit zuhause alles mit Hobo besprochen, sie hatte ihm auch gleich noch die allerwichtigsten Sachen gezeigt, die man so als eventueller Produktionsassistenten Nachfolger wissen muss und ein paar kleine Geheimnisse, die nur Finbar und sie kannten, hat sie ihm auch anvertraut. Dass Hobo darüber mächtig stolz war könnt ihr euch denken.Er versprach Lindgren, er würde echt sein Bestes geben.

Als Finbar nach Hause kam und Lindl sah, dass er lächelte, war sie unglaublich erleichtert. Finbar kam auf sie zu und nahm sie ganz fest in den Arm. „Ich will dich zwar nicht gehen lassen, aber ich versteh dich und ich freu mich, dass du noch ein wenig hierbleiben kannst. Du warst an meiner Seite, du hast mir geholfen, meinen Traum von Nordwärts zu verwirklichen und ohne dich hätte ich das alles nie geschafft. Aus mir ist ein echter Reetpoet geworden und dafür werde ich dir immer dankbar sein, das werde ich immer im Herzen haben, auch wenn du nicht mehr da bist.“ Finbar und Lindi setzten sich mit der gesamten Karawane zusammen und besprachen alles. Die schöne Schwedin war auch furchtbar traurig, als sie hörte, dass Lindgren nicht mehr lange hier sein würde. Gemeinsam wollten sie die Zeit noch genießen und sich so gut es ging auf den Abschied vorbereiten.

Ihr könnt euch jetzt bestimmt vorstellen, dass es dann, als es soweit war, alles andere als einfach war, Abschied zu nehmen . Finbar war unendlich traurig und auch Lindi musste ein paar Mal sehr schlucken und der schönen Schwedin war auch unendlich schwer ums Herz.. Aber sie dachten alle an Herrn Bud, der hatte ja immer wieder gesagt, dass, egal was kommt, es immer wieder gut werden würde. Und darauf vertrauten nun beide. Finbar machte einen langen Spaziergang am Meer und dachte, die Sehnsucht nach Lindgren und Herrn Bud würde ihn zerreißen. Da drehte er sich um uns sah beide weit hinten am Horizont über den Strand tollen. Lindgren winkte und meinte ein letztes Mal: „Siehst du, wir sind doch gar nicht so weit weg von dir, wir bleiben immer in deinem Herzen und in deiner Karawane“. Finbar wischte seine Tränen ab und ging mit einem Lächeln nach Hause, wo Hobo schon ganz ungeduldig auf ihn wartete. „Hey, Alter, es gibt Arbeit…“, meinte er zu Finbar und die beiden verschwanden im Deichstall.

Wir wünschen Finbar und Hobo, dass das Meer sie immer wieder an die erinnert, die sie lieb haben und dass die beiden noch jede Menge feiner Lieder miteinander finden werden über die sie sich mit der schönen Schwedin und vielen Menschen freuen werden.

Lindgren von Bullerbü

Kategorien
Gedanken

Karfreitag

Vom ersten Moment meines Seins an die Anklagen aufsaugen, sie zu meiner Schuld, meinen Fehlern machen.

Streng dich mehr an, bemüh dich, wenn du nur willst, dann kannst du all das sein, was wir gern gewesen wären, tu es für uns. Wenn du still bist, dann fällst du nicht zur Last, wenn du unsichtbar bist, dann kannst du bleiben, wir meinen es ja trotz allem gut mit dir. Sei dankbar.

Denn mit dir kam die Schande über uns, der Makel, der Fleck auf der weißen Weste. Verlassen, noch bevor es begann.

Von niemandem erwartet, von keinem gewollt und dennoch da.

Überlebt, gekämpft, verborgen geweint. Geleistet, geworden, die Narben im Blick. Verheddert im Dunkel, gekettet an Worte.

In kleinen, ganz kleinen Schritten losgehen, sich fortbewegen aus dem Nebel der Schuld. Der Hoffnung entgegen, die Freiheit erspüren und langsam zu ahnen beginnen, dass Auferstehen mitten im Leben gelingt.

Kategorien
Nicht kategorisiert

Es ist doch alles schon so lange her…..

Ich habe gestern hier die Geschichte von meinem Großvater und seinem engsten Freund Cees nieder geschrieben, als Teil meines Erinnerns und als meinen Beitrag zum Holocaust Remembrance Day 2022.

Erwartungsgemäß gab es unter den Reaktionen darauf auch welche, die in etwa lauten, es ist doch alles schon so lange her, wir leben in der Gegenwart, es geht um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit. Ich bin der Meinung, es kann nie genug Erinnern geben. Erinnerungskultur sollte ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft sein und wir sollten alles daran setzen, um das immer noch so präsente Opferparadigma endlich aufzulösen und sich zu unserer Geschichte zu bekennen. Erinnerungskultur ist notwendig, um das vererbte Schweigen zu durchbrechen. So viele von uns wissen kaum etwas über die Erlebnisse und die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern, weil man einfach nicht darüber sprach und es bis heute nicht tut. Dabei wäre es für unsere eigene Geschichte so wertvoll und notwendig. Die Generationen derer, die die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus selber erlebt haben, sterben aus, junge Menschen haben kaum mehr Großeltern, die vom Krieg erzählen können. Ja, oft war man genervt, wenn der Großvater dann doch vom Krieg erzählte, schon wieder die alten Geschichten, aber retrospektiv betrachtet, zeigt es halt auch, wie schwer die Bilder und Erinnerungen lasten, wenn man bis ins hohe Alter immer wieder davon erzählen will. Das Schweigen und nicht sprechen können zeigt das genauso.

Wir sollten uns sehr bewusst sein, dass der Friede in dem wir derzeit (noch) leben, sehr wohl auf den Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern basiert.

Natürlich ist Erinnerung ein breites Feld, es gibt viele Personengruppen die durch die Nationalsozialisten unsägliches Leid erfahren haben und die Erinnerung an die Shoa ist angesichts der Zahl von 6 Millionen ermordeter Juden und Jüdinnen auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Auch wenn ich die Zeit nicht erlebt habe, so bin ich doch die Enkelin eines Mannes, der im Krieg war und Schreckliches erlebt hat , die Enkelin einer Frau, die in dieser Zeit am Bauernhof die Vergewaltigungen durch russische Soldaten über sich ergehen lassen musste. Ich bin die Urenkelin eines Mannes, der der NSDAP zugetan war. Ich bin die quasi Nichte eines Mannes, der Auschwitz und Mauthausen überlebt hat. Das ist alles Teil meiner Geschichte.

Erinnerung ist kein Leben in der Vergangenheit, es ist ein Baustein der Gegenwart, um Zukunft zu gestalten. Dass die Bilder unserer Erinnerung nicht schwarz weiß Bilder sind und werden , das ist unsere Verantwortung. Erinnerung ist außerdem ein Akt der Würde. Menschen nicht zu vergessen, aus zu Nummern gewordenen wieder Menschen mit Gesichtern und Namen zu machen, ihnen allen Respekt und Achtung zu zollen, das hat jeder und jede Einzelne von ihnen verdient, egal ob nicht mehr unter uns oder ob als Überlebende Zeitzeugen einer furchtbaren Zeit, egal ob Jüdin , Roma oder politischer Häftling von irgendwo. Wir können uns nicht zu Allerheiligen an die Gräber stellen, um der Toten zu gedenken, wenn wir auf der anderen Seite Erinnerungskultur ablehnen, weil es zu sehr Vergangenheit ist.

Wir sollten miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn die Inhalte der Gespräche schwierig sind, weil Emotionen vielleicht schwer bewältigbar. Ein wunderbarer Film hat dieser Tage in unseren Kinos Premiere. Fabian Eders „Der schönste Tag“. Ein Film, der in unglaublich sensibler aber sehr klarer Art und Weise uns die Vergangenheit zugänglich macht. Gesprächssequenzen zwischen Großvater und Enkel, Erzählungen der Großmutter an ihrer Enkelin erlauben eine andere Sprache, weil die beiden Gesprächspartner in emotionaler Beziehung zueinander sind. Diese Sprache der liebevollen Zugewandtheit ermöglicht auch uns als Zuschauer die Auseinandersetzung mit Inhalten, denen wir sonst gerne ausweichen. Der Film ist ein großartiges Geschenk an die Erinnerungskultur und ein wichtiger Mosaikstein am Weg zu einem dauerhaften „Nie wieder“. Und wieder ende ich einen Beitrag mit dem Auftrag „Zachor, erinnere dich!“

Der schönste Tag, Verleih Stadtkino Wien, im Bild Fabian Eder mit Aba Lewit
Kategorien
Nicht kategorisiert

#WeRemember

Ich möchte heute hier die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft erzählen, die Freundschaft zwischen Otto und Cees. Der eine ist mein Großvater, der andere ist durch die Freundschaft zu meinem „Onkel“ geworden.

Mein Großvater war grad mal 18 Jahre alt, als er eingezogen wurde und als Soldat in den Krieg musste. Zu einer der ersten Stationen zählte Holland. Mein Opa war wohl eher der Typ Rebell und Draufgänger in seiner Jugend, mit Autoritäten hat er sich immer schwer getan. Das hat er dann auch im Krieg zu spüren bekommen und seine Art hat ihm auch eine Strafversetzung eingebracht, die ihn letztlich nach Dresden und Polen führte, ich erinnere mich noch gut an seine Erzählung vom heißen Stahlhelm bei der Bombardierung von Dresden.

Aber wieder zurück in die Niederlande. Mein Großvater schob dort als Soldat seinen Dienst, eines Abends war er unterwegs um die Ausgangssperren zu kontrollieren und ist dabei auf eine junge Dame getroffen, die ihm offenbar sofort gefiel. Anstatt ihr Stress zu machen, hat er sie nach Hause begleitet, die beiden haben sich trotz widriger Umstände angefreundet und so kam es, dass er sie immer öfter besuchte. Tinnie, so hieß die junge Frau, hat ihn letztlich auch zur Familie mitgenommen und er lernte ihre Eltern kennen und war gern gesehener Gast. Im Lauf der Zeit hat mein Großvater gemerkt, dass die Familie im holländischen Widerstand aktiv war, dass Waffen im Haus versteckt waren und so weiter. Opa hat das alles für sich behalten und letztlich mit diesem Wissen und seinem Schweigen sein Leben riskiert. Der Krieg nahm seinen Lauf, die Kompanie meines Großvaters wurde verlegt und Tinnie und er mussten Abschied nehmen, man hat Adressen getauscht und einander versprochen, im Kontakt zu bleiben.

Jahre vergingen, mein Großvater hat den Krieg überlebt und war wieder zu Hause bei seiner Familie. 1953 stand plötzlich ein junger Mann am Gartentor und hat gefragt ob Otto hier wohnt. Der Mann war aus den Niederlanden und die Überraschung war groß, als sich herausstellte, dass er der Bruder von Tinnie war, die mein Großvater im Krieg kennen lernte. Tinnies Familie, im Speziellen die Mutter, wollte einfach unbedingt wissen, was aus dem jungen Soldaten, den sie so ins Herz geschlossen hatten, geworden ist, da der Briefkontakt auch abriss, weil Briefe mit der Feldpost zum Teil nicht zugestellt wurden. Deshalb haben sie den Bruder von Tinnie beauftragt, er soll den Otto suchen, Heimatadresse hatten sie ja. Mein Großvater überrascht, überwältigt. Er konnte Cees, Tinnies Bruder in Holland nämlich nicht kennen lernen, da Cees mit 16 Jahren als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet wurde und sein Weg von Amersfoort über Buchenau nach Auschwitz führte. Von dort ging es später auf einem der Todesmärsche nach Mauthausen, wo er letztlich im Nebenlager Gusen landete und mit ganz viel Glück und unglaublichem Willen überlebte und befreit wurde. Er selbst hat immer gesagt, die Tatsache, dass er eine abgeschlossene Berufsausbildung als Schlosser hatte, habe ihm das Leben gerettet, er wurde in Mauthausen/Gusen gebraucht, um für Messerschmitt am Bau des Düsenjägers ME 262 mitzuarbeiten.

Nun standen sich da also zwei Männer am Gartentor gegenüber, die einander fremd und doch so vertraut waren, da sie jeweils viel über den anderen aus Erzählungen kannten. Cees und Tinnies Eltern wollten unbedingt wieder Kontakt zu meinem Großvater, weil die ganze Familie ihm Hochachtung und Respekt für sein Schweigen zollte. Die beiden Männer kamen ins Gespräch, Cees blieb ein paar Tage und in der Zeit wuchs eine Freundschaft, die ihresgleichen suchen sollte. Aus den beiden Männern wurden fast Brüder und sie blieben in Kontakt. Tinnie und ihre Mutter schrieben Briefe und mein Großvater wurde wieder Teil der Familie in Holland. Das Leben ging seine Wege, beide Männer und auch Tinnie heirateten, gründeten ihre eigenen Familien und alle drei ließen diese Familien zum Teil der eigenen Familie werden. Die Erwachsenen wurden zu „Onkeln und Tanten“ für die Kinder, die Kinder wurden zu Freunden, jeder war für den anderen da und auch die Entfernung konnte daran nichts ändern. Mein Großvater kehrte zurück nach Holland und hat sich dort von Anfang an wie zu Hause gefühlt und sein Strahlen, wenn er von diesen Urlauben erzählte, bleibt unvergessen.

Ich hab Cees und seine Frau Truus natürlich auch als „Onkel und Tante“ kennengelernt und mich immer unendlich gefreut, wenn sie im Sommer mit ihrem schicken Jaguar (Cees wurde ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann) angedüst kamen und allerhand Geschenke im Gepäck hatten. Ich mochte die beiden unglaublich gerne. Truus war eine große, stattliche, elegante Frau mit viel Humor und Charme, ihr Lachen klingt heute noch in meinen Ohren. Vor Cees hatte ich immer viel Respekt, da er oft in Diskussionen auch sehr temperamentvoll werden konnte und wenn es um die Kriegsjahre ging, oder um politische Themen, da konnte er schon mal die Beherrschung verlieren. Aber auch er war uns allen gegenüber sehr herzlich zugetan und die Tage wenn sie bei meinen Großeltern waren, waren immer besonders. Die Freundschaft der Eltern wurde weitergegeben und hat sich von Generation zu Generation fortgesetzt bis heute, sie sind Teil unserer Geschichte und wir ein Teil ihrer. Das ist ein unglaublich schönes Geschenk.

Die Geschichte der beiden hab ich erfahren, als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war. Es war ein Sommertag, Cees und Truus waren bei meinen Großeltern zu Besuch, die beiden Männer haben gemeinsam im Garten gearbeitet und Cees und ich standen nebeneinander am Waschbecken, er wusch sich die Hände und ich sah auf seinem Unterarm eine Nummer eintätowiert. Ich hab ihn gefragt, was das ist und er meinte zuerst, das erklärt er mir, wenn ich älter bin.

Ich war aber neugierig und hab ihn so lange genervt, bis er sich mit mir hingesetzt hat und mich gefragt hat, ob ich in der Schule schon mal etwas von Auschwitz gehört habe. Die ganze Tragweite der Geschichte habe ich natürlich erst viel später begriffen, viel aus den Gesprächen mit seinen Söhnen und dann selber, als ich nach seinem Tod nochmal bei Truus einen Sommer in Holland verbracht habe und sie mir viel erzählt hat, was wir bis dahin alle nicht wussten. Von den ewigen, nimmer enden wollenden Alpträumen, von den seelischen Wunden, von der Härte, die er sich gegenüber anderen zugelegt hatte und vieles mehr. Durch ihn hab ich auch erfahren, wie sehr diese Zeit und die grausamen Schicksale auch die nachfolgenden Generationen prägt. Cees war kein verständnisvoller, liebevoller Vater, sondern er hat von seinen Söhnen viel gefordert. Er selbst war besessen davon, nach all dem Erlebten, ein erfolgreiches Leben zu führen, er hat gearbeitet bis zum umfallen bzw. bis zum Herzinfarkt und hat das auch von allen um ihn herum verlangt. Er hat einige Jahre in Indonesien gelebt und gearbeitet, ist wieder zurück in die Niederlande hat dort Firmen gegründet und hart gearbeitet. Und er war sein Leben lang ein Getriebener. Getrieben davon, die Verräter von damals zu finden, was ihm nie gelang.

Mein Großvater hat nie viel über den Krieg geredet, aber auch ihm hat man sein Leben lang angemerkt, dass er Bilder – gerade aus Polen – nie vergessen konnte und dass das Gefühl von Schuld ihn auch immer begleitet hat. Er hat sich schuldig gefühlt am Tod von vielen Menschen und er hatte wohl auch konkrete Menschen vor Augen, über die er aber so gut wie nie sprach. Vielleicht war ihm deshalb auch diese Freundschaft zu Tinnie und Cees so wichtig, weil sie ihn daran erinnerte, dass er nicht nur Schuld auf sich geladen hat, sondern auch dort, wo er für sich einen Weg fand, Menschen unterstütze und ihnen half.

Wie auch immer, die Freundschaft und enge Beziehung dieser beiden Männer wird mir immer Vorbild sein und die Geschichte der beiden hat mich geprägt und mich letztlich dazu gebracht, mich im Bereich Holocaust Education zu engagieren. Ich verdank den beiden viel und einen Auftrag, den mir beide ins Herz gelegt haben, werde ich selber wohl bis an mein eigenes Lebensende mittragen und es auch von allen immer wieder einfordern: Zachor, Erinnere dich!

mein Großvater zu Besuch bei Cees und seiner Familie.

Kategorien
Nicht kategorisiert

Weihnachtsstimmung

Endlich ist der lockdown vorbei und alle stürmen raus und in die Geschäfte. Hektik, Trubel, Menschen auf der Suche nach Weihnachtsstimmung. Irgendwo muss sie doch sein, diese Weihnachtsstimmung, verborgen hinter all den blinkenden Lichtern oder vielleicht irgendwo in den Prall gefüllten Auslagen, kommen Sie, kaufen Sie…Rabatte, Sonderangebote, Weihnachtsstimmung Fehlanzeige.

Ich komm erst nach 16 Uhr aus der Arbeit weg, miesmutig und müde noch den Lebensmitteleinkauf erledigen , in Gedanken bei schwierigen, ärgerlichen Elterngesprächen, Kopf voller PCR Testneuerungen und Corona Kram, mulmiges Gefühl im Bauch, wo wird uns das alles noch hinführen mit Omikron und Co.

Dann aber noch entscheiden, schnell bei einer Freundin vorbeizuschauen. Endlich wieder Kaffee trinken. Sie hat Zeit bzw. nimmt sie sich, ist mindestens so müde wie ich und dennoch, wir plaudern, wir lachen, wir trinken auch noch heiße Schokolade , im Hintergrund laufen Christmas songs, draußen ist es dunkel, herinnen wird es immer heimeliger. Plötzlich fällt alle Spannung ab, Leichtigkeit macht sich breit, gut durchwachsen mit Dankbarkeit für den Augenblick. Und auf einmal ist sie da, erst ganz klein und dann breitet sie sich einfach aus in mir, diese kindliche Weihnachtsfreude, das Strahlen der Lichter um uns, das zu einem Strahlen ganz Innen in mir wird. Das ist es was Weihnachten ausmacht……Christmas is together time und das ist nicht beschränkt auf irgend ein Datum.

Kategorien
Gedanken

Kinder, Kinder……

Derzeit gibt es nicht wenige Menschen, die glauben, sehr genau zu wissen, was Kinder brauchen. Man wirft mit Studien und Statistiken um sich, man diskutiert und streitet, man publiziert und weiß Bescheid. Interessanterweise kommen in all dem Kinder nie zu Wort.

Ich hab auch keine einfache Antwort auf die Frage, was Kinder brauchen. Aber vielleicht sollte man sich vor dem Antwortversuch ohnehin zuerst einmal die Situation unserer Kinder und Jugendlichen genauer anschauen. Wie geht es denen, die so oft keine Stimme, kein Gehör bekommen in Zeiten der Pandemie. Auch darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, weil jedes Kind in anderen Umständen steckt und jeder Jugendliche und jede Jugendliche unterschiedlichste coping Strategien hat.

Ganz oft hört man derzeit, man mache sich Sorgen um die Psyche der Kinder. Schulschließungen würden den Kindern und Jugendlichen arg zusetzen und sie mitunter sogar krank machen. Da könnte man jetzt glatt drauf vergessen, dass in Zeiten wie diesen auch ein Schulbesuch krank machen kann. Aber zurück zur Psyche der Jungen. Ich bin immer wieder erstaunt, dass so undifferenziert der Satz im Raum steht, dass die Psyche der Kinder unter Schulschließungen leidet.

Ja, die Psyche der Kinder leidet in einer Pandemie definitiv, das ist gar keine Frage, aber sie leidet aus sehr unterschiedlichen Gründen. Schule mag ein Teil davon sein, aber nicht der einzigste. Ich kann natürlich genauso,wenig für alle Kinder und Jugendlichen sprechen, aber ich kann versuchen, ein wenig aufzuzählen, was mir in meinem Berufsalltag (Schulleiterin einer Mittelschule, für die, die das noch nicht wissen) begegnet. Ich erlebe eine ungeheure Anspannung bei Kindern, die sich ganz unterschiedlich äußert und die sich vor allem langsam aufgebaut hat. Im ersten Lockdown war‘s fast ein bissl cool, da gingen viele noch sehr unbeschwert an die Sache heran und auch ich hab mir gedacht, wow, wie cool die das alle schaukeln. Das hat sich aber bald verändert und so cool, wie auch ich zunächst dachte, war es eigentlich von Anfang an nicht. Es gibt Kinder, die kommen mit Lockdowns und Distance Learning toll zu recht. Wir haben Kinder, die im Unterricht in der Schule oft viel zu ruhig und zurückgezogen waren, die im Distance Learning zu Höchstformen auflaufen, weil ihnen die persönliche Zuwendung, die 1:1 Betreuung durch die Lehrer so gut tut. Sie fühlen sich gehört, gesehen und können plötzlich zeigen, was in ihnen steckt. Wir haben Kinder, die dem Autismus Spektrum zuzuordnen sind, die sich zu Hause um vieles leichter tun, weil sie in ihrem eigenen Tempo viel stressfreier arbeiten können. Es gibt Kinder, für die Distance Learning eine Katastrophe ist, weil sie zu Hause weder den Raum noch die Ausstattung haben, die man als lernförderliche Umgebung bezeichnen würde. Für manche Jugendlichen ist es ungemein schwierig, weil sie plötzlich total sich selbst überlassen sind, weil Eltern keine Zeit, keinen Nerv mehr haben und sie sich selber mit Selbstorganisation noch total schwer tun. Es gibt Mädels und Burschen die geradezu aufblühen, weil sie endlich Vollgas geben können und mit Begeisterung an der Sache sind. Es gibt Kinder, denen fehlt das Miteinander in den Klassen, weil sie ihre Freunde und ihre Klassengemeinschaft vermissen, aber genauso gibt es junge Leute, die heilfroh sind, endlich mal Ruhe zu haben, endlich mal nicht gehänselt oder gemobbt zu werden.

Wir spüren sehr viel Verunsicherung bei Kindern. Was darf man, was ist klug, was ist richtig? Kinder tauschen sich aus und stoßen auch da an ihre Grenzen, weil sie merken, es gibt ganz unterschiedliche Meinungen. Eltern, die einem Kind erklären, wir müssen um unsere Freiheit kämpfen, Eltern, die Jugendliche überfürsorglich behüten und somit ein Stück weit die eigenen Ängste mit übertragen. Die Informationsflut ist auch für Kinder eine enorme Herausforderung. Kinder und Jugendliche verspüren außerdem auch Veränderung. Sie spüren, dass die Atmosphäre der Gesellschaft sich verändert, sie können es oft nicht benennen, aber sie merken, dass da gerade „etwas“ mit uns passiert. Kinder sind oft irritiert, weil Eltern sich verändern. Viele Eltern haben unendlich große Sorgen und versuchen zwar diese vor ihren Kindern zu verbergen und dennoch merken Kinder, da stimmt etwas nicht. Manchmal hat Mamma so komisch rote Augen, Papa setzt sich gar nicht mehr zu uns an den Tisch und so weiter. Kinder und Jugendliche sind hin und her gerissen…..wem glauben schenken. Wer weiß wirklich wo‘s lang geht? Viele sind verunsichert, wenn sie immer wieder zu hören bekommen, dass Eltern nicht wissen, wie sie alles noch schaffen sollen, dass Kinder nicht einfach zu Hause bleiben können, weil, wie stellst du dir das denn vor. Manche Kinder haben mir schon gesagt, sie hätten Angst, eine zusätzliche Belastung für ihre Eltern zu sein. Kinder haben durchaus auch Angst, sich mit Covid anzustecken. Manche haben viel weniger Angst um sich selber, als um die eigenen Großeltern oder um Risikopatienten innerhalb der Familie. Kinder sind übervorsichtig, weil sie nichts nach Hause schleppen wollen. Kinder sind total gestresst, weil sie keinesfalls verantwortlich dafür sein wollen, dass ihre Klasse in Quarantäne geschickt wird.

Was wir alle, aber Kinder mehr denn je brauchen, ist Orientierung und Stabilität und genau das können wir Kindern und Jugendlichen derzeit oft nicht bieten, einerseits, weil wir uns alle selber nicht mehr auskennen, andererseits, weil in uns auch grad alles an bisherigen Sicherheiten wegbricht.

Kinder und Jugendliche müssen gerade enorm viel aushalten, das schaffen die einen besser und die anderen schlechter. Ich denke, wir tun gut daran, wenn wir uns unseren Kindern und Jugendlichen zuwenden, ihnen zuhören und sie zu Wort kommen lassen, anstatt über sie zu reden, zu diskutieren und vor allem über sie zu entscheiden. Viele Kinderseelen sind immer schon sehr belastet gewesen, manche Kinder bekommen vom Leben einen Rucksack auferlegt, der seinesgleichen sucht. Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen , aber auch bei deren Eltern haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Wir wissen schon seit Jahren, dass es viel zu wenig Behandlungsplätze gibt, dass es viel zu wenig Schulpsycholog:innen gibt, dass wir dringend Supportpersonal brauchen würden. Komischerweise hab ich in den letzten Jahren da immer nur ganz leise Stimmen gehört, vor allem auch von jenen, die sich derzeit so um die Psyche der Kinder sorgen.

Wir sind es unseren Kindern und Jugendlichen schuldig, sich ehrlich mit ihnen auseinander zu setzen anstatt sie zu instrumentalisieren. Daher wünsch ich mir gerade in der aktuellen Schulöffnungsdiskussion ehrlichere Argumente und fairere Beleuchtung der Gesamtsituation, die wahrlich für niemanden einfach ist.

Kategorien
Nicht kategorisiert

Freiheit

Liebe verschwörungstheoretische Impfverweiger:innen, ich kann gar nicht sagen, wie groß mein Unverständnis und meine Wut mittlerweile ist, wenn mir wer von euch mit persönlicher Freiheit kommt…..ja, wir reißen uns die Haxen aus, wir in Spitälern, in Pflegeeinrichtungen, in Sozialeinrichtungen, in Altersheimen, in Bildungseinrichtungen. Auch die Exekutivbeamt:innen sind mehr als gefordert….so viele von uns sind am absoluten Limit und trotzdem arbeiten wir weiter und bemühen uns, neue Vorgaben immer wieder umzusetzen zum Wohle der uns anvertrauten und zum Wohl der Allgemeinheit. Ja, ich bin froh, wenn alle Schulen 2x/woche PCR testen , wie ich soeben den Medien entnehme und dennoch graut mir davor, wieviel Mehraufwand und Zusatzarbeit, wieviel mehr Druck das für mich persönlich und auch für meine Mitarbeiter:innen bedeutet und trotzdem steht außer Zweifel, dass wir es schaffen wollen und werden, schlaflose Nächte, tränenreiche Abende,weil die Überforderung sich ihren weg bahnen muss, inklusive.

Ist es wirklich so eine Einschränkung persönlicher Freiheit, wenn man sich impfen lässt, damit das Leben wieder normaler und erträglicher werden kann für all jene, die nicht mehr können, die jetzt vielleicht wieder finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen. Mittlerweile belegen genügend Studien dass Impfungen Sinn,machen, es gibt genügend Vergleichszahlen aus den Intensivstationen, die das auch vor Augen führen usw. und dennoch seid ihr immer noch davon überzeugt, das sei alles falsch……wieviel persönliche Freiheit nehmt Ihr mir durch euer Verhalten weg? Ich hab kaum mehr Freizeit, kann kaum mehr mal entspannt wo hinfahren und was weiß ich. Ja. Ich jammere auf hohem Niveau, keine Frage, aber bleibt mir fern mit euren abstrusen Theoerien von Freiheit…. Ich hab es dermaßen satt, ich find nicht mal mehr die passenden Worte dafür. Wie komm ich dazu, um eurer Freiheit willen permanent auf Anschlag zu arbeiten, wie komm ich dazu, mir um eurer Freiheit willen überlegen zu müssen, wie ich das alles halbwegs unbeschadet durchsteh und wie verdammt kommen alle anderen, denen es genauso und noch viel schlechter geht dazu? Reißt euch endlich zusammen, es kann doch nicht sein, dass wir uns,unser Land,unsere Sicherheit und unseren Frieden ruinieren, weil ihr auf Freiheit pocht und dieser Ruf nach Freiheit uns in Spaltung und Konflikte führt? Wie kurzsichtig kann man denn noch sein?

Ihr macht es euch verdammt leicht mit euren Ansichten, ihr kommt mir mit mahnenden Worten, ich solle nicht blind auf einem Auge sein und alles viel ganzheitlicher betrachten und was ist mit euch? Wann schaut ihr auf eure blinden Flecken? Ich fühle mich unendlich ohnmächtig, weil ich spüre, was die aktuelle Situation mit mir macht, weil ich merke, dass ich selber oft nicht mehr rational sondern emotional reagiere, ich will nicht sehenden Auges in eine gesellschaftliche Katastrophe laufen, weil Werte wie Zusammenhalt, Gemeinschaft, Solidarität und Empathie offensichtlich für viele schlichtweg wertlos geworden sind. Wo entwickeln wir uns als Gesellschaft hin, wenn jede:r nur noch darauf bedacht ist, dass die eigene Komfortzone weich gepolstert bleibt. Was ist mit all jenen, die nicht mal in Ansätzen eine Komfortzone haben? Alle und alles egal, Hauptsache, deine Freiheit bleibt gewahrt? Nein, ich weigere mich zu glauben, dass wir so sind und ich zitiere unseren Bundespräsidenten „nein, so sind wir nicht!“ und bewahre Gott, dass ich mich irre und wir doch so sind….

Kategorien
Gedanken

Die Geschichte von 9 Wochen Ferien und anderen Mythen…..

Es ist mal wieder an der Zeit, ein wenig über Schule zu schreiben. optimaler Zeitpunkt, da ja gerade ein neues Schuljahr beginnt.

Suboptimal ist,wie es beginnt, es beginnt nämlich mit etlichen Hürden und einer ordentlichen Portion an neuen, zusätzlichen Herausforderungen. Ein Schulstart ist nämlich an sich schon ein Kraftakt, wie geneigte Kenner und Kennerinnen der physikalischen Grundgesetze (Newton lässt grüßen) sich eventuell ausrechnen können. Ein Schulstart gekoppelt mit einer Pandemie ist nochmal eine Nummer größer. Es ist ja nicht so, dass wir keine Erfahrung damit hätten, denn immerhin schreiben wir im Logbuch des Raumschiff Enterprise gerade das Semester 4 in Zeiten der Pandemie. Und dennoch, Houston, we have a problem (ach, wenn‘s doch nur eines wär….) Jetzt ist es so, dass man wahrnimmt, dass die Gründe für das Problem Schulstart sehr unterschiedlich wahrgenommen werden und so kommt es, dass zwei Aussagen mich heute sehr beschäftigen. Es sind zwei Tweets von Thomas Mayer (Journalist; der standard)

Herr Mayer schreibt unter anderem: „Was haben Direktoren und Lehrer seit Anfang Juli 10 Wochen lang gemacht, wissend, dass zu Schulbeginn im Herbst vierte Infektionswelle droht? Mir geht diese Unverantwortlichkeit, ständige Ausrede aufs Ministerium auch auf die Nerven.“ und weiter „Habe kein Verständnis dafür, dass Lehrer und Direktoren neun Wochen Sommerferien „feiern“, und in Schulen eine (!) Woche nach Herbststart Chaos ausbricht“ (beides Zitate aus seinem Twitteraccount @TomMayerEuropa)

Diese Tweets haben heftige Diskussionen ausgelöst und Herr Mayer meint, wir würden in den Schulen nach dem Prinzip „Anweisung von oben“ arbeiten und meint, wir wären geneigt, Verantwortlichkeit immer woanders hinzu delegieren, konkret alles auf‘s Ministerium zu schieben, anstatt selber endlich die Dinge in die Hand zu nehmen. (nachzulesen auf seinem twitter account) Nun gut, damit ich endlich auch mal meinen bequemen Liegestuhl am Sonnendeck verlasse, beschreib ich hier mal kurz meine letzten Wochen. Ich könnte auch über die letzten zwei Jahre schreiben, dann würde es aber vermutlich eher ein Buch…. Ich mach meinen Job grundsätzlich wirklich gerne, das dürfte dem einen, der anderen hier nicht neu sein, aber ich war noch nie so an meinen Grenzen und so ausgelaugt wie jetzt gerade. Geh, jetzt hast eh grad 9 Wochen Urlaub g‘habt…… ah ja, da sind sie wieder, die 9 Wochen….. 9 Wochen, die keine 9 Wochen sind, weil Schulleiter* innen ganz offiziell a bissl länger arbeiten dürfen und auch früher anfangen…na, heast, immer noch mindestens 7 Wochen und das obwohl du das ganze Jahr über so viel frei hast…..hm, tja, es sind ganz oft auch keine 7 Wochen, denn wenn nicht alle Stellen besetzt sind, sitzen wir noch immer in den Schulen und führen Bewerbungsgespräche oder wenn wir Sommerschulen am Standort betreiben, dann fallen auch gleich mal wieder zwei Wochen weg und meist noch eine Woche für die Vorbereitungen derselbigen, da man da ja auch ein neues Team hat und so weiter….an meiner Schule gab es keine Sommerschule….na oiso, was wüst, eh 7 Wochen Urlaub…..nein, seit Anfang August sitze ich immer wieder und überlege und plane, zugegebenermaßen manchmal auf der Terrasse, manchmal am pool, aber ich plane, ich denke nach, ich tüftle alles unter den Vorzeichen „was wäre wenn“ , denn die Pressekonferenz des Ministers Anfang August hat mehr Fragen als Antworten gebracht. Wir Leiter*innen telefonieren miteinander, beratschlagen, überlegen, spielen wie in einem netten Planspiel alle möglichen Varianten durch, nur Preis gewinnen wir halt keinen. Wir versuchen unsere Teams zu informieren und deren Fragen zu beantworten, nebenbei bauen wir die Lehrfächerverteilung fertig (was? Die is noch nicht fertig, ja, was hackelt ihr eigentlich? ….ja, die ist nicht fertig, weil es dazu Kontingente, also die Ressourcen der Lehrerstunden , braucht und besetzte Stellen) und tüfteln auch , oft mit der Unterstützung von Lehrerteams am Stundenplan (was, der ist noch nicht fertig? Was hackelts ihr eigentlich? …..ja, der ist noch nicht fertig, weil es dafür eine fixe Lehrfächerverteilung braucht und die, na Sie wissen schon…) Neben all dem macht man sich Gedanken, wie das mit der Logistik der Testungen in der Schule ablaufen kann, schreibt unendlich viele Excell sheets, holt das Team früher in die Schule, die kommen auch alle freiwillig, obwohl sie noch nicht müssten (jaaaaa, genau, es gibt sie tatsächlich:engagierte Pädagog*innen) , man bespricht Abläufe, Plan A, Plan B, Plan Xy (gut, dass das Alphabet 26 Buchstaben hat) und man wartet trotzdem noch, ob es eventuell konkretere Vorgaben aus dem Ministerium oder den Bildungsdirektionen gibt. Nun ja, man wartet. Und auch wenn noch alles so gut wie möglich vorbereitet ist, lässt sich nichts davon umsetzen, wenn nicht ausreichend Tests geliefert sind, oder die qr codes fehlen. Ich hab einen halben Tag deswegen in hotlines verbracht und es letztlich nur einem twitterkontakt, der bei der Post arbeitet, zu verdanken, dass dieses Paket mit den codes noch zeitgerecht aufgetaucht ist. Laut Erlass hätte ich die Möglichkeit zu sagen, gut, wenn kein Material, keine Tests und fertig. Allerdings kann man das, wenn man seinen Job mit viel Herzblut macht, nicht so einfach. Da geht es nämlich um ein paar hundert Kinder und jedes einzelne von ihnen liegt mir am Herzen. Ich will, dass diese Kinder gesund bleiben. Zu all dem kommt noch das Chaos der Digitalisierungsoffensive (kostenlose Endgeräte, die doch was kosten und die noch nicht an den Schulen sind). Meine Schule gehört zu den 7% der Schulen, die sich in diesem Jahr noch nicht an der Offensive beteiligt haben. Das liegt nicht daran, dass wir in Sachen Digitalisierung im Hintertreffen sind (ey, wir bekommen nächste Woche das oö Gütesiegel „digi-tnms“ verliehen) nein, es liegt daran, dass wir einerseits in Sachen Infrastruktur noch ein paar Dinge aufjustieren müssen, ich Geräte nur für sinnvoll halte, wenn sie nicht nur in der Schule liegen, sondern auch breitflächig eingesetzt werden können und ich meinem Team das Chaos, das jetzt herrscht, ersparen wollte. Nach über 30 Jahren Schuldienst hatte ich da eine gewisse Ahnung, die sich jetzt leider auch bestätigt. Neben der Digitalisierung gibt es einen zeitlich straff getakteten Zeitplan für das neue Qualitätsmanagement an den Schulen und im November werden die Bildungstandards getestet, weil der ministeriale Fahrplan das so vorsieht. Dass die letzten eineinhalb Schuljahre Schüler*innen, Pädagog*innen und Eltern unglaubliches abverlangt hat, findet keine Berücksichtigung. Ziele müssen erreicht, Pläne erfüllt werden.

Wir arbeiten mit Kindern und nicht mit Maschinen. Wir sind Menschen und keine Maschinen. Wir sind erschöpft, wir sind müde, wir sind oft am Rande des Machbaren, wir arbeiten in einem System, das gerade durch Corona noch mehr aufgezeigt bekommt, wo es dringend an Veränderung bedarf. Wir verlieren engagierte Kolleg*innen, wir verlieren wertvolle Kinder. Aber hey, wir haben 9 Wochen Ferien und jede Menge Zeit zu feiern. Nun denn…..ihr findet mich im Liegestuhl am Sonnendeck. Ein schönes Wochenende allerseits.